Auch die Lausitzer Rundschau berichtet über unsere letzten Dreharbeiten. Vielen Dank an Catrin Würz für den sehr präzisen Beitrag, der die Umsetzung unserer Ideen vor Ort fundiert zusammenfasst.
»Der riesige Kohlebagger quietscht und rasselt, ächzt und rumpelt, während sich die Schaufel unablässig durch das schwarze Flöz frisst. Felix Räuber hält sein Aufnahmegerät hoch über seinen Kopf und drückt die Aufnahmetaste für diesen Kanon der Eisentöne.
Der einstige Sänger und Frontmann der Dresdner Erfolgsband „Polarkreis 18“ ist stark be- eindruckt. Er steht am Fuße des Braunkohletagebaus Nochten und lässt die schrille Melodie der Tagebaugeräte auf sich wirken. Räuber ist zusammen mit einem vierköpfigen Filmteam an diesen martialischen Ort gekommen. Sie drehen gerade in der Lausitz für eine mehrteilige multimediale TV-Dokumentation, die den Titel „Wie klingt Heimat?“ trägt. Dafür begibt sich der Sänger und Komponist auf eine akustische Entdeckungsreise durch seine sächsische Heimat. Das ist spannend und inspirierend zugleich. In insgesamt zehn Episoden will Felix Räuber die Klang- und Lebenswelten verschiedener Kulturkreise in Sachsen erforschen.
„Mich interessiert der Sound der Regionen, aber auch die Geschichten der Menschen und was ihnen die Musik bedeutet“, sagt er.
Bei den Sorben hat er bereits die klingenden Gebete der Osterreiter und in der Sächsischen Schweiz die Stille des Waldes eingefangen. Geplant sind auch noch Erkundungen im vogtländischen Instrumenten-Winkel, in Räubers Heimat Dresden, aber auch in Schlesien oder bei der vietnamesischen Gemeinde in Sachsen. Aus den so gefundenen Geräuschen, Tönen, Lauten, Liedern und Melodien will er Songs schreiben – eine Sinfonie der Kulturen soll entstehen.
„Mit den Songs möchte ich danach an diese Orte zurückkehren – zu Live-Musikevents oder Konzerten“, verrät der Künstler seinen Plan.
Lausitz in ihrer Vielfalt zeigen
Und jetzt also die Lausitz. Aber taugt ausgerechnet ein zerstörerischer Tagebau als Synonym für Heimat? Autor Marc Oliver Rühle, der das Konzept für die Doku-Serie zusammen mit Räuber entwickelt hat, sagt:
„Wir wollen der Seele der Orte und Regionen so nah wie möglich kommen.“ Auf dem schmalen Grat zwischen Zerstörung und Neuerfindung werden die Lebenswelten in der Lausitz greifbar. „Die Bilder und die Klänge werden in eine Beziehung gebracht: Mensch und Maschine, Mensch und Natur, Mensch und Wandel, Verwandlung“, zählt Marc Oliver Rühle auf.
Am Vormittag hat das Filmteam am Geierswalder und am Bärwalder See ganz andere Auf- nahmen gemacht: das Schlagen der Wellen am Ufer, das Gluckern des Wassers zwischen den Booten im Hafen und das Geräusch eines Schiffsmotors. Die neue Perspektive für die Region ist das Wasser im Tagebau. Die neue Heimat, das Neue, das aus Abgebautem und Stillgelegtem entstanden ist. Klingt so der Wandel?
Ist Hoyerswerda eine Heimat?
In Hoyerswerda trifft Felix Räuber auf André Bischof. Er hat in der Stadt eine Musik- und Kunstschule aufgebaut. Junge Menschen lernen hier nicht nur Instrumente, sondern auch, wie die Musik ein Stück ihrer Identität werden kann, also ein Stück Heimat. Bischof leitet auch den Bürgerchor Hoyerswerda, der vor allem die Lieder des einstigen Baggerfahrers und Liedermachers Gerhard Gundermann pflegt und singt.
„Gundermann hat sich in seinen Songs ständig mit diesem Widerspruch von Fortschritt durch Industrie einerseits und dem Verlust der Heimat andererseits beschäftigt“, sagt André Bischof.
Auf keiner Platte zu hören
Einer dieser Gundermann-Songs, der davon auf besondere Weise erzählt, heißt „Lied der Raumschiffe und Kosmonauten“. Sicher habe Gundermann in seinem Kohlebagger dieses Lied geschrieben und sich dabei wie in einem Raumschiff gefühlt, davon ist André Bischof überzeugt.
„Keinen anderen Landeplatz bietet uns das Weltenall, wenn er auseinanderplatzt, jener Erdenball“, lauten die Textzeilen, die heute aktueller zu sein scheinen als je zuvor.
Felix Räuber ist begeistert. Das Lied aus dem Jahr 1983 ist auf keiner Platte Gundermanns veröffentlicht. Der Bürgerchor Hoyerswerda hat den Raumschiff-Song mehrstimmig einstudiert und wird ihn nun am Proben-Montag zum ersten Mal mit dem Künstler gemeinsam singen. „Das ist eine Ehre für mich“, sagt Räuber und er gibt zu, sogar ein bisschen aufgeregt zu sein.
Gundermanns Lieder-Heimat?
Die Chorsängerinnen und -sänger sind am Ende selbst ein wenig ergriffen von dem gemeinsamen Ergebnis, das nun auf einem Album erscheinen soll. Es gibt Applaus. Einige der Frauen und Männer erklären im Gespräch mit Felix Räuber anschließend, was denn aus ihrer Sicht eine Antwort auf die Frage „Wie klingt Heimat?“ sein könnte.
„Für mich sind der Bürgerchor und Gundis Lieder ein Stück Heimat“, sagt eine Frau aus dem Chor. Gemeinschaft, Freundschaft, Wärme seien hier zu finden. Aber in den Gundi-Songs sind auch Zerrissenheit, Trauer, Verlust besungen. „Und auch all dies gehört zur Heimat dazu.“
Fotos: Siegfried Michael Wagner
Comments