top of page

Silvester-Interview mit Felix

Auf der Titelseite: Wir freuen uns sehr, dass Felix in der Silvester-Ausgabe der Sächsischen Zeitung in einem Interview ausführlich über unsere interdisziplinäre Produktion "Wie klingt Heimat" sprechen und einen Ausblick für das neue Jahr geben konnte.

Der Song „Allein, Allein“ war 2007 sein Welthit. Nun arbeitet Felix Räuber für den Film und auch eine Ausstellung über sächsische Volkskunst beschäftigt ihn.


Das Interview im Wortlaut:


Felix Räuber hat auf einer Reise durch Sachsen Klänge der Heimat gesammelt


Der Song „Allein, Allein“ war 2007 sein Welthit. Nun arbeitet Felix Räuber für den Film und auch eine Ausstellung über sächsische Volkskunst beschäftigt ihn.


Felix Räuber, Jahrgang 1984, gründete mit 13 Jahren im Keller des Dresdner Elternhauses seine Band „Polarkreis 18“. Die Single „Allein, Allein“ war ein Welthit. Das Studioalbum von 2007 führte die Band durch Europa mit 150 Konzerten im Jahr. Gold- und Platin-Awards sowie eine Echo-Nominierung folgten.


Nach der Trennung der Band ging Räuber nach Berlin, schreibt nun Stücke für Marken und Filme, um damit seine eigene Musik zu finanzieren. Die bezeichnet er als Cinematic Pop, weil sie Einflüsse von Elektronik, Film- und Popmusik vereint.


Reisen führten ihn in den Iran, nach Israel, ins Westjordanland, nach Georgien, Armenien und schließlich durch Sachsen. Sein Projekt „Wie klingt Heimat?“ war im Sommer als Konzert mit 42 Musikern auf der Bühne des Dresdner Kulturpalastes zu erleben. Wir sprachen mit Felix Räuber über die zehnteilige Filmdoku und eine Ausstellung im Museum für Sächsische Volkskunst, an denen er gegenwärtig arbeitet.


Der erste Satz in einem Text, in einem Buch ist entscheidend. Felix, wie lautet er in Ihrer Filmdoku?


"Der erste Satz ist immer auch der schwierigste. Mein Team und ich haben lange dran gefeilt: Ist Heimat ein Ort? Ist Heimat ein Gefühl? Oder ist Heimat sogar ein Klang? So geht es los."


Das sind drei Fragen. Wie lautet Ihre persönliche Antwort?


"Diese Frage höre ich oft, und ehrlich gesagt, bin ich froh, dass ich sie nicht vor laufender Kamera beantworten muss, sondern auf meiner Reise durch Sachsen stellen konnte. Für viele Menschen hat Heimat mit Kindheitserinnerungen zu tun, mit Prägung, mit einer räumlichen Verortung. Auch Gerüche, Klänge und Geschmack spielen eine Rolle. Vielfalt ist es, woraus wir alle schöpfen. Die politische Instrumentalisierung des Heimatbegriffs hat mit dem Gefühl und der Verortung nichts zu tun. Deshalb ist es für uns so wichtig, das Thema kulturell zu betrachten. Musik hat die Möglichkeit, Kulturen miteinander zu verbinden und über Kulturgrenzen hinweg zu kommunizieren."


Sind Heimat und Geborgenheit für Sie identisch?


"Der Felix, der einen coolen Medienslogan bringen will, damit der als Überschrift gedruckt wird, sagt: Meine Heimat ist die Musik! Und tatsächlich war sie das sehr lange."


Ist sie das nun nicht mehr?


"In den ersten Jahrzehnten meines musikalischen Schaffens war es tatsächlich so. Der Bruch kam 2011, als Polarkreis 18 offiziell eine Pause einlegte, uns aber schon klar war, dass die Band sich trennen wird. Jeder ging seiner eigenen Wege. Ich bin in Berlin gelandet, aber habe das Gefühl, bis heute dort nicht wirklich angekommen zu sein. Hinzu kommt: Wertschöpfung aus Musik erfolgt digital. Streaminganbieter veröffentlichen Playlists, und der einzelne Stream wird wahnsinnig schlecht bezahlt. Außerdem ist die Konkurrenz riesig. Und die Vorstellung, deine Musik playlistkompatibel abzusamplen, ist auch nicht so sexy. Wenn man mal aus Spotify rausgeht und sich mit anderen Menschen ans Lagerfeuer setzt, erlebt man die spirituelle Kraft von Musik. Das ist Volkskunst! Ich bin dankbar, dass ich mit „Wie klingt Heimat?“ aus der digitalen Blase rauskomme."


In der ersten der zehn Doku-Folgen geht es um die Urmusik der Natur. Wie klingt die Sächsische Schweiz im Vergleich zum Zittauer Gebirge?


"Tatsächlich beginnt unsere Reise durch Sachsen in der Natur. Im Zittauer Gebirge traf ich das Elektro-Duo Forest Roots. Das sind zwei junge Männer, die das Zittauer Gebirge nie wirklich verlassen haben und deren Ohren geschärft sind, die Klänge der Natur aufzunehmen und musikalisch einzubinden. Als wir dort gewandert sind, mit Kopfhörern auf den Ohren und Mikrofon, konnten sie mir genau sagen, welcher Vogel auf welchem Baum singt. Das war ein Erlebnis, das ich so noch nie hatte. Entdeckt hat die Jungs unser Autor und mein alter Schulfreund Marc Oliver Rühle."


Ich vermute, ähnliche Geräusche gibt es in den Wäldern des Elbsandsteins.


"Dort trafen wir die Bergfinken, den ältesten Bergsteigerchor Deutschlands, Männer, für die Klettern und Musik zusammengehören. Wir sind auf den Lampertstein geklettert und haben auf dem Gipfel gemeinsam gesungen. Es war überwältigend."

Und mit wem saßen Sie am Lagerfeuer?


"Mit Pfadfindern der Gruppe „Goldener Reiter“, die das gemeinsame Naturerlebnis mit dem Singen verbinden. Sie haben mir ihr Liederbuch mitgegeben."


Welche Begegnung waren für Sie am überraschendsten?


"Mich hat die Reise insgesamt erweitert. Wir haben ja alle irgendwelche Vorbehalte, so lange wir nicht aus unserer Komfortzone heraustreten. Manche Menschen haben mir auch den Spiegel vorgehalten."


Inwiefern?


"In Leipzig lernte ich einen syrischen Oudspieler kennen, der 2015 nach Sachsen kam, sich eine Musikschule aufgebaut hat und in mehreren Bands spielt. Deutsch hat er gelernt, indem er Musikunterricht gab. Eine andere Folge beschäftigt sich mit dem Strukturwandel in der Lausitz. In Hoyerswerda lernte ich in der Kulturfabrik den Archivar von Gerhard Gundermann kennen, der mir unveröffentlichte Songs von Gundi zeigte. Pfeffi, so wird der Archivar genannt, kam in den 80er-Jahren nach Hoyerswerda und war in der Kultur eine Instanz. Der Systemwechsel war für ihn dramatisch. Er wurde arbeitslos und bekam eine ABM-Stelle im Gundermann-Archiv. Ich fragte ihn, ob er je darüber nachgedacht habe wegzugehen. Und er sagt: „Nö, ich habe hier meine Freunde, mein Umfeld, das ist meine Heimat.“ Und ich, der suchend durch die Welt heizt und gar nicht so richtig weiß, wonach er sucht, höre diese einfache, klare Antwort. Danach habe ich immer gesucht, es aber für mich nie gefunden. Das ist für mich sehr bewegend."


Das heißt, die Reise durch Sachsen hat auch Sie verändert?


"Voll! Ich mache jetzt seit 23 Jahren Musik. Als Polarkreis 18 sich trennte, war das schockierend für mich. Ich habe nie eine Ausbildung gemacht, habe mich immer voll auf mein künstlerisches Schaffen fokussiert. Es gab keinen Plan B. Dann musste ich feststellen: Ok, es läuft nicht alles so geradlinig, wie man sich das als junger Mann erträumt. Nach Sachsen zurückzukehren und meine Heimat neu zu entdecken, war für mich eine Chance. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich diese Reise mit alten Dresdner Freunden, der Filmproduktionsfirma Ravir, Regisseur Markus Weinberg und meinem Freund Oli Rühle machen kann. Außerdem habe ich begonnen, die Geschichte meiner Familie zu recherchieren. Mein Opa war Schlesier und fand nach der Vertreibung 1945 in Dresden eine Heimat. Es ist ein großes Privileg, dass ich nun darüber künstlerisch arbeiten kann."


Wurde über die Vertreibung Ihrer Familie zu Hause gesprochen?


"Ich habe im vorigen Jahr das erste Mal das Geburtshaus meines Großvaters in Breslau besucht. Er war seit seiner Flucht 1945 nicht mehr dort. Ich habe ihn digital mit dorthin genommen. Das war sehr bewegend und ich habe gemerkt: Viele Dinge weiß ich noch gar nicht. Das war für mich immer weit weg und hatte mit meiner Lebensrealität nichts zu tun."


Sind Sie sich sicher, ob Sie in Zukunft immer noch in Heimat wach werden?


"Ehrlich gesagt, fühle ich mich nicht besonders sicher, und das nicht erst seit Kriegsbeginn in der Ukraine, sondern weil ich in der Kultur arbeite. Aber ich versuche, Vertrauen und Zuversicht zu bewahren. Eine Folge unserer Heimatdoku beschäftigt sich mit der Zukunft. Wir treffen einen Zukunftsforscher und in Plauen eine Analog-Astronautin. Der Klang des Weltalls ist für mich sehr spannend."


Und ich dachte immer, im Kosmos herrscht ohrenbetäubende Stille!


"Dann kommen Sie in unsere Ausstellung, die Ende März im Museum für Sächsische Volkskunst in Dresden öffnet. Dort werden Sie auch hören, wie es im All klingt."


Wie kamen Sie auf die Idee, aus den Klängen eine Ausstellung zu machen?


"Es war von Anfang geplant, interdisziplinär zu arbeiten und auch mit Livemusik an die Orte zurückzugehen, an denen wir gefilmt haben. Ein Konzert im Bergwerksstollen zum Beispiel können wir uns gut vorstellen. Im Dresdner Jägerhof werden wir eine performative Installation zeigen, in der jeder Besucher, jede Besucherin auf die Suche nach persönlichen Heimatklängen gehen kann. In der Museumschefin Kathi Loch haben wir eine mutige und begeisterte Partnerin gefunden."


Interview: Birgit Grimm

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page